Religionsunterricht im Fokus von Medien und Öffentlichkeit
Der Religionsunterricht ist medial und damit auch im öffentlichen Bewusstsein präsent wie selten. Hintergrund ist die geplante Einführung des verpflichtenden Ethikunterrichts, zunächst für alle SchülerInnen der Sekundarstufe 2, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Marie-Theres Igrec hat sich die Diskussion im Detail angesehen. Die Theologin ist wissenschaftliche Assistentin im Erzbischöflichen Amt für Schule und Bildung und räumt in ihrem Artikel (ursprünglich erschienen in der „Wiener LehrerInnenzeitung, Ausgabe Mai/Juni 2019) mit so manchem Vorurteil auf.
Was der Religionsunterricht mit Ethik zu tun hat
In den letzten Wochen stand der schulische Religionsunterricht wiederholt im Fokus medialer Aufmerksamkeit und war mit grundsätzlichen Anfragen an seine Stellung und Aufgabe im österreichischen Bildungssystem konfrontiert. Das erstarkte öffentliche Interesse ist der für 2020 geplanten Einführung des verpflichtenden Ethikunterrichts für alle Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 2, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, zu verdanken.
Während der Vorstoß der Bundesregierung, den Ethikunterricht, der seit mittlerweile 20 Jahren in Österreich als Schulversuch läuft und bisher an 211 Schulstandorten umgesetzt wurde, ins Regelschulsystem zu überführen, von den Religionsvertretern grundsätzlich positiv aufgenommen wird, war insbesondere aus laizistisch motivierten Kreisen viel Kritik zu vernehmen. Als Kumulation dieser Kritik kann das Einbringen der Petition „Ethik für alle“ durch die prominent besetzte Initiative „Religion ist Privatsache“ gesehen werden.
Die Petition enthält zum Teil Forderungen, die auch von Religionsseite durchaus begrüßt werden können, so etwa die Forderung nach einer Ausweitung des Ethikunterrichts auf alle Schulstufen oder nach einer fachlich gediegenen (universitären) Ausbildung der Ethiklehrpersonen.
Problematische Vorbehalte und Vorurteile
Problematisch sind die offenkundigen Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dem Religionsunterricht, wie sie zum Teil unterschwellig mitschwingen, zum Teil aber auch sehr explizit in jenem die Petition begleitenden Positionspapier ausgesprochen werden. Die Vorwürfe (etwa der Indoktrination, der Diskriminierung, der Vermittlung inhomogener, nicht konsensfähiger Werte) erweisen sich als wenig informiert oder fundiert, da sie weder Zielsetzung, Lehrplänen noch Praxis des modernen Religionsunterrichts entsprechen, was leicht zu belegen ist.
Die gesellschaftliche Relevanz der im Religionsunterricht gelehrten Ethik
Ganz grundsätzlich scheint die Petition dem Religionsunterricht sein Vermögen abzusprechen, Kindern und Jugendlichen ebenso wie der Ethikunterricht eine adäquate ethische Bildung und Werterziehung zukommen lassen zu können. Dem kann, zumindest aus der Sicht des christlichen Religionsunterrichts, einiges entgegengehalten werden.
Zunächst muss gesagt werden, dass der konfessionelle Religionsunterricht keine reine Glaubensunterweisung ist, der es nur um die Demonstration eines Wahrheitsanspruches oder sogar die Darstellung einer Überlegenheit von religiösen Überzeugungen gegenüber säkularen Anschauungen ginge. Der Religionsunterricht versucht in erster Linie, Kindern und Jugendlichen Orientierungswissen zu vermitteln, zu ihrer Persönlichkeitsbildung beizutragen, sie diskurs- und (ethisch) handlungsfähig zu machen. Mit Ethik ist der christliche Glaube untrennbar verwoben, da seine Inhalte wesentlich auf soziale Praxis und gesellschaftliche Mitgestaltung angelegt sind.
Wird dem Religionsunterricht die Kompetenz strittig gemacht, ethisch bilden zu können, so steht die Frage nach der Tragfähigkeit und Gesellschaftsrelevanz ethischer Handlungsmaximen, die aus religiösen Traditionen und Überzeugungen geschöpft werden, seit jeher (und seit der Aufklärung in Auseinandersetzung mit säkularen Positionen) kulturprägend gewirkt haben und zum Erbe des europäischen Kulturkreises gehören, auf dem Spiel. Es kann daher ganz grundsätzlich gefragt werden:
Ist eine Perspektive auf den Menschen, seine unantastbare Würde, Einzigartigkeit, Bedürftigkeit, Verletzlichkeit, seine Entwicklungsfähigkeit weniger wert, wenn sie sich aus der religiösen Überzeugung der Gottebenbildlichkeit des Menschen speist? Hat die Sorge um die Umwelt, den Klimaschutz, um nachhaltiges ökologisches Handeln weniger Gewicht als Konsequenz biblisch verbürgter Schöpfungsverantwortung?
Wie verhält es sich mit dem sozialkritischen Aufbegehren alttestamentlicher Propheten, deren Leben, Worte und Wirken dem Aufdecken von gesellschaftlichen Unrechtsverhältnissen in den Herrschaftssystemen ihrer Zeit galt? Dürfen sie nicht als Inspiratoren für Zivilcourage und Gesellschaftskritik gelten? Was ist mit den visionären Inhalten des Evangeliums?
Selbstverständlich sind im Religionsunterricht auch andere Quellen von Ethik als jene des eignen Glaubenssystems, die Traditionen anderer Religionen, ebenso aber auch säkulare, humanistische Wertvorstellungen Thema und Inspirationsquelle für ethisches Handeln. Selbstverständlich geht es dem RU auch um eine vernünftige, altersadäquate Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten und ihren ethischen Konsequenzen und muss auch der Kritik am eigenen System, an Diskrepanzen und geschichtlichen Verfehlungen der Institutionen und ihrer Anhänger berechtigter Raum gelassen werden.
Glauben verstehen lernen, (Zusammen-)Leben gestalten
Letztendlich ist es Ziel des Religionsunterrichts, Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen, ihren Glauben mit seinen ethischen Ansprüchen verstehen zu lernen und daraus Optionen für ein sinnvolles, gelingendes Leben und eine verantwortliche Gestaltung menschlichen Zusammenlebens gewinnen zu können.
In diesem Sinne ist herauszustreichen, dass Ethikunterricht und Religionsunterricht keine konträren Fächer sind, sondern weitgehende Übereinstimmung in Anliegen und Zielsetzung genießen. Wie auch gesamtgesellschaftlich ein friedvolles, fruchtbares und bereicherndes Zusammenwirken fundierter ethischer Positionen religiöser und säkularer Natur wünschenswert ist, so wäre es auch im öffentlichen Raum von Schule erstrebenswert, den Wert und Beitrag beider Fächer zur Bildung ethisch mündiger und handlungsfähiger Menschen zu würdigen und nach Kooperationsmöglichkeiten und Gesprächsräumen zu suchen.
Artikel von Marie-Theres Igrec in „Wiener LehrerInnenzeitung“, Ausgabe Mai/Juni 2019; der Artikel wird unverändert wiedergegeben, im Sinne der Lesbarkeit wurden jedoch zusätzliche Absätze und Zwischenüberschriften eingefügt.